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Foto Dominic Reichenbach
Dass man das neue Programm von Mathias Tretter gesehen haben muss, ist ja keine Frage. Darum gleich mal eine andere: Erinnern Sie sich an den herrlichen Satz „Der ist bei der Sitte“? Kein ernstzunehmender Krimi kam früher ohne sie aus: die Sitte. Ein beherzt verlebter Polizist in Zivil, der zur Lösung eines Falles nicht das Geringste beitrug, sich aber derart ölig an eine Theke schmierte, als würde er selbst keine Perversion je verschmähen.
Diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen sind Hunderttausende bei der Sitte, und das ganz ohne Krimi und Polizei, ja meist gar ohne Sex. Die Moral in Deutschland ist so gut bewacht wie nie zuvor. Hätte das Land gleich viele Theken wie Sittenpolizisten, es wäre Tschechien. Aber leider: Sie schmieren sich jetzt an Bildschirme statt Bars und berauschen sich nicht mehr an Prosecco und Prostitution, sondern einzig an sich selbst. Vier Fünftel aller Tweets werden aus sittlicher Überlegenheit getippt, die andere Hälfte kommt mit der Moralkeule daher und das dritte Drittel schwärzt die Mörder an, die während einer Pandemie ein Buch auf einer Parkbank lesen.
Welch ein fantastisches Klima für Satire! Das meint zumindest Tretter, der sein Glück kaum fassen mag: „Ich war immer neidisch auf Komiker in Diktaturen – wenn jeder Witz dein letzter sein kann, fühlst du dich gebraucht. Soweit ist es zwar noch nicht; aber die schiere Anzahl ehrenamtlicher Bedenkenträger zeigt mir doch: Selten war ein Strolch so notwendig wie heute!“ Man ahnt: Das kann ja heiter werden – so sehr, dass danach wieder getwittert wird. Oder nochmal Tretter: „Sittenstrolch, mein siebtes Solo. Das erste mit Humor.“